Bei diesem Titelthema werden viele Halter sicherlich lautstark protestieren. Immerhin lassen sich ihre Meerschweinchen doch sehr gerne streicheln, gerade die Kinder finden Meerschweinchen deswegen auch ganz toll und in vielen Ratgebern steht doch auch, dass Meerschweinchen gerne gestreichelt werden...
Wieso also solch eine Aussage?
Wir stellen bei unserer täglichen Tierschutzarbeit immer noch sehr häufig fest, dass die Laut- und Körpersprache von vielen Haltern falsch eingeschätzt und interpretiert wird. Deswegen möchten wie hier ganz speziell auf das Thema „Streicheln“ eingehen.
Meerschweinchen sind Fluchttiere, sie lassen sich nicht gerne von oben greifen, haben gerne festen Boden unter den Füßen und sind stressanfällig. Meerschweinchen, welche zuerst mühevoll eingefangen werden müssen, da sie vor der Hand weglaufen, werden sich sicherlich nicht über Streicheleinheiten auf dem Schoß des Halters freuen. Wieso interpretieren es dennoch viele Halter so? Wir müssen hier zuerst ganz von unseren menschlichen Verhaltensweisen und Erfahrungen absehen und diese nicht auf die Tiere übertragen.
Oft hören wir „Mein Meerschweinchen liebt es gestreichelt zu werden, es schnurrt dabei so schön.“ Wie das Wort „schnurren“ schon andeutet, wird hier von der Katze auf das Meerschweinchen geschlossen. Ein großer Fehler, denn das angeblich behagliche Schnurrgeräusch ist bei Meerschweinchen ein „Beschwichtigungsbrummeln“. Sie versuchen sich und auch den Halter damit zu beruhigen und hoffen, dass der Halter es doch bald wieder ins Gehege setzt. Sicherlich hat jeder diese Lautäußerung bei seinen Meerschweinchen schon gehört, wenn sie ein unbekanntes und/oder neues lautes Geräusch erschreckt.
„Mein Meerschweinchen kuschelt sich ganz entspannt in meine Armbeuge (Pullover)“
Meerschweinchen sind Fluchttiere und versuchen sich in Situationen, in welcher sie sich in Gefahr sehen oder gestresst sind, in ein Versteck zurückzuziehen. Das einzige mögliche Versteck auf dem Schoß des Halters stellen daher die Armbeuge dar oder die Flucht in die Kleidungsstücke.
„Mein Meerschweinchen liegt ganz entspannt in meinem Schoß und schläft sogar dabei“
Zum einen gibt es die Schreck-, oder auch Angststarre genannt, bei Meerschweinchen. Dabei sitzen die Tiere ohne jegliche Regung auf dem Schoß der Halter und dies wird von den Haltern als Zustimmung interpretiert und sie streicheln die Tiere weiter. Gerade für Kinder ist dies natürlich schwer zu erkennen.
Sitzen Meerschweinchen nicht mit weit aufgerissenen Augen in der Angststarre, dann liegen sie oft langgestreckt im Schoß. Dass wir Halter das natürlich gerne positiv werten möchten, ist verständlich. Meerschweinchen versuchen sich in dieser Situation so flach und platt wie möglich zu machen, um von der Hand wegzukommen. Es ist also nicht wirklich ein entspanntes Liegen. Ebenso kommt es dabei dann auch vor, dass sie die Augen schließen.
Wir denken dann gerne, die Tiere seien durch die Streicheleinheiten so entspannt, dass sie einschlafen. Das Einschlafen ist aber eine Übersprungshandlung. Das Meerschweinchen würde gerne flüchten, kann dies aber nicht, und legt diesen Fluchtinstinkt dann in das Einschlafen um, so entflieht es der unausweichlichen Situation.
„Mein Meerschweinchen frisst und putzt sich auf meinem Schoß, dies würde es ja nicht tun, wäre es gestresst!“
Da Meerschweinchen einen Stopfdarm besitzen, also ständig fressen müssen, damit der Futterbrei weiter transportiert wird und ihre Verdauung funktioniert, ist es nicht verwunderlich, wenn sie auch in Stresssituationen weiterfressen, zudem lenkt es auch ab. Meerschweinchen putzen sich nicht nur aus Gründen der Körperhygiene, auch bei Stress wenden sie Putzen als Übersprungshandlung an.
Ausnahmen gibt es natürlich immer!
Sicherlich gibt es auch Meerschweinchen die sich gerne mal kraulen lassen. Dies kann man aber sicherlich nicht feststellen, wenn man sie aus dem Gehege nimmt und sich auf den Schoß setzt, hier werden die Meerschweinchen gezwungen. Sie sollen selbst entscheiden können, ob sie gekrault werden möchten. Dies ist möglich in einem großen Gehege, in dem sie sich zurückziehen können oder im Auslauf. Die Tiere sollten dabei nie festgehalten werden.
Wenn sich die Tiere dann auch mal an der Nase streicheln lassen oder einem das Kinn hinstrecken, ist dies einer der größten Vertrauensbeweise, den man von seinen Tieren bekommen kann!
Aufklärung
Oft werden wir nach entsprechender Aufklärung gefragt, was man denn noch mit seinen Meerschweinchen machen kann, wenn man sie eigentlich nicht mit zum Abendprogramm auf den Schoß nehmen soll. Meerschweinchen sind Beobachtungstiere, deswegen müssen sich gerade Eltern fragen, ob Meerschweinchen wirklich die richtigen Haustiere für ihre Kinder sind. Wollen diese Streicheltiere, müssen wir ganz klar sagen, dann werden Kinder und Meerschweinchen nicht glücklich.
Man kann trotzdem viel Freude mit Meerschweinchen haben, gerade in größeren Gruppen ist das wunderbare Sozialverhalten sehr gut zu beobachten. Ebenso kann man seinen Meerschweinchen viel Spaß durch Abwechslung im Auslauf und Gehege bereiten. Gerade Kinder freuen sich sehr, für ihre Tiere tolle Einrichtungen zu bauen oder Futterspieße zu basteln.
Es wird noch ein langer Weg sein Halter davon zu überzeugen, dass Meerschweinchen in aller Regel keine Kuscheltiere sind, denn niemand möchte sich eingestehen seine Tiere vielleicht jahrelang falsch verstanden zu haben. Aber auch wir als aktive Pflegestellen haben viele Fehler in der Meerschweinchenhaltung gemacht. Der Tierschutz und das Verständnis für die einzelnen Tierarten und deren Bedürfnisse bleiben nicht stehen, sondern entwickeln sich stetig weiter und helfen uns so, unsere kleinen Lieblinge immer besser zu verstehen und zu pflegen.
Text und eeiterführende Informationen: www.sos-meerschweinchen.de